06.02.2023

Flugzeugunglück vor 65 Jahren in München-Riem: Eine Krankenschwester erinnert sich

„Lest we forget“, steht in großen Lettern auf dem Schal, den Elisabeth Weber (91) um ihre Schultern legt: „Auf dass wir nie vergessen mögen.“ Der Schal in den Farben des englischen Fußballclubs Manchester United erinnert an jenes Flugzeugunglück, das am 6. Februar 1958, vor genau 65 Jahren, in München-Riem 23 Menschen in den Tod riss, darunter acht Spieler des aufstrebenden Clubs. Am Montag, den 6. Februar 2023, wird an der Absturzstelle nun eine Gedenkfeier abgehalten – und Elisabeth Weber wird als eine Vertreterin des Universitätsklinikums rechts der Isar vor Ort sein. In diesem Krankenhaus, seinerzeit noch unter städtischer Leitung, wurden die teils schwer verletzten Überlebenden des Unglücks versorgt. Den damaligen Krankenhaus-Chef und späteren Ärztlichen Direktor, Prof. Georg Maurer, zeichnete Queen Elizabeth II. dafür mit dem Orden „Commander of the British Empire“ aus; das medizinische Personal, das sich um die Verletzten kümmerte, nannten britische Medien bald „Angels of Munich“. Elisabeth Weber ist eine der Letzten, die noch von dieser Zeit berichten können. Sie arbeitete 1958 als leitende Krankenschwester auf der Männerwachstation.
Elisabeth Weber in Sessel sitzend
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Frau Weber, wie haben Sie 1958 von dem Unglück erfahren?

Ich war an dem Tag krankgeschrieben und da habe ich ein Telefongespräch mitbekommen, in dem es hieß, in ganz München sei kein Sanitätswagen mehr frei, weil in Riem ein Flugzeug verunglückt ist. Am übernächsten Tag war ich dann selbst wieder in der Klinik.

Als Sie wieder zum Dienst kamen: Was war los am Klinikum?

Die Stimmung war gedrückt. Zwei Patienten waren gestorben. Die anderen Verunglückten hatten teils schwerste innere und äußere Verletzungen, aber sie wurden von guten Kollegen betreut – den „Angels of Munich“. Nach einiger Zeit kamen auch die Frauen der Patienten aus England. Es war viel los im Klinikum.

Die Intensivmedizin war 1958 erst im Aufbau. Gab es Erfahrung mit sehr schweren Verletzungen?

Oh ja! Schon 1955 – da hatte ich gerade im Rechts der Isar angefangen – hatten wir viele schwere und tödliche Fälle. Man darf ja nicht vergessen: Die Straßenbahnen waren damals überlastet, die Leute haben sich außen drangehängt, sind oft runtergefallen. Und am Ostbahnhof: viele Rangierunfälle. Heute ist alles deutlich sicherer.

Heute wäre das Krankenhaus in so einem Fall von Fans, Schaulustigen und Medien belagert. Wie war das damals?

Das hat es damals nicht gegeben, zumindest habe ich nichts Derartiges mitbekommen. 1980, beim Oktoberfestattentat, war das schon anders. Da haben wir ja auch die Verletzten reinbekommen, und da waren die Reporter dermaßen schlimm, die mussten wir buchstäblich verscheuchen. Aber 1958, da ist man im ersten Moment nur erschrocken. Ich hatte auch den Eindruck, dass die verletzten Spieler ein bisschen abgeschirmt wurden. Der Medienauflauf fing erst an, als unser Klinikdirektor Prof. Georg Maurer mit einer OP-Schwester und seinem engsten Ärzteteam nach England eingeladen worden ist, um ausgezeichnet zu werden.

Apropos: Prof. Georg Maurer ist es auch zu verdanken, dass aus dem Städtischen Krankenhaus das Universitätsklinikum rechts der Isar wurde. Wie haben Sie ihn im Klinikalltag erlebt?

Er hat sich mit aller Kraft für das Klinikum eingesetzt! Ich erinnere mich an eine Szene: Ein Patient hatte ein pfenniggroßes Loch in seinem Bettbezug. Professor Maurer ließ mich holen und zeigte es mir. Da habe ich gesagt: Herr Professor, ich bin froh, dass ich die zerrissene Wäsche habe, bevor ich gar keine habe. Daraufhin ging er raus, wo sein Ärzteteam stand, und sagte: „Schreiben Sie an die Verwaltung: ,Ich habe keine Lust, Chef eines Klinikums zu sein, in dem die Patienten in zerrissener Bettwäsche liegen müssen.‘“ Ja, so war unser Professor Maurer.

Vor fünf Jahren, als an der Absturzstelle eine Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages abgehalten wurde, sind Sie auch schon eingeladen worden. 

Ja, das war eine großartige Veranstaltung. Die Menschenmenge hat den ganzen Platz gefüllt. Einer der Engländer kam auf mich zu und hat gesagt: „Frau Weber, ich bin heute den ganzen Tag für Sie da!“ So viele Umarmungen und Handküsse, wie ich damals bekommen habe … (lacht). Es war ein Lachen, ein Singen, aber auch ein Weinen. Ich habe damals einen Erinnerungsschal geschenkt bekommen.

Werden Sie auch bei der Gedenkfeier am heutigen Montag auch dabei sein? 
Ja natürlich! Ich bin ja die Letzte aus der damaligen Belegschaft, die noch mobil genug ist. Und den Schal werde ich mitnehmen. Das macht sich sicherlich gut.