09.08.2022

European Championships 2022: Klinikum rechts der Isar bringt mit sechs Studien Höchstleistungen für die Wissenschaft

München steht vor einem der größten Sportereignisse seit Olympia 1972: Mit den European Championships 2022 starten ab 11. August Europameisterschaften in neun Sportarten. Dass die Athlet*innen dabei auch medizinisch gut versorgt sind, stellt ein Team der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar sicher – mit Dr. Michael Zyskowski als „Medical Director“ für den Kanu-Rennsport und das Rudern sowie Dr. Michael Müller für das Klettern. Im Interview verraten sie, was das konkret bedeutet und wie das Klinikum bei dem Großereignis auch die Wissenschaft voranbringen will: nämlich mit sechs Studien von der Prävention von Sportverletzungen bis hin zum Einfluss der Menstruation auf Sportlerinnen.
Dr. Michael Zyskowski und Dr. Michael Müller mit verschränkten Armen vor dem Eingang der Notaufnahme
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Was genau macht ein „Medical Director“ bei den European Championships?
Dr. Zyskowski: Die Rolle des Medical Directors ist komplex. Zum einen begleiten wir die Wettkämpfe medizinisch und sind vor Ort für die notfallmäßige Betreuung von Profi-Athlet*innen mit akuten Verletzungen und Erkrankungen zuständig. Zum anderen sind wir Ansprechpartner für Team-Ärzte und -Ärztinnen sowie für die Medical Delegates der Fachverbände. Sie können sich stets mit Fragen und Problemen an uns wenden.
Dr. Müller: Neben der Erstversorgung koordinieren wir – wenn nötig – auch den weiteren Transport der Sportler*innen in eine Klinik. Das Universitätsklinikum rechts der Isar ist dabei eine der Partnerkliniken des Bayerischen Roten Kreuzes und der Johanniter-Unfall-Hilfe, die vor Ort den Rettungsdienst stellen. Ist keine Klinikeinweisung nötig, prüft der Medical Director auch, ob ein Sportler oder eine Sportlerin noch wettkampftauglich ist.
 
Was ist beim Rudern, Kanu und Klettern medizinisch gesehen besonders herausfordernd?
Dr. Zyskowski: Rudern und Kanufahren stellen eine enorme Herz-Kreislauf-Belastung dar. Zudem ist am Wasser kein Schatten, so kann auch die Hitze zum medizinischen Problem werden. Kommen dann noch körperliche Höchstleistungen dazu, kann das selbst für erfahrene Athlet*innen gefährlich werden. Noch etwas unberechenbarer macht eine COVID-19-Vorerkrankung die Situation. Und: Schon im Training mit High Speed kann es durch Zusammenstöße zu schweren Verletzungen kommen, wie wir von früheren Veranstaltungen wissen. So mussten Einsatzkräfte an der Regatta-Strecke bereits Sportler*innen mit schweren Verletzungen bis hin zum Milzriss schnell erstversorgen.
Dr. Müller: Beim Klettern und Bouldern ist vor allem mit Verletzungen durch Stürze von der Wand zu rechnen. Dabei treten am häufigsten Brüche und andere Verletzungen im Bereich des Sprunggelenkes und des Fußes auf. Auch an den Armen kann es zu Verletzungen kommen. Besonders häufig sehen wir hier Luxationen, also Verrenkungen, von Schulter- und Ellenbogengelenk.
 
Warum wurden sie gerade für diese drei Sportarten ausgewählt?
Dr. Zyskowski: Ich kenne den Rudersport von Klein auf – erst als aktiver Sportler und später auch in Organisation und Betreuung. So habe ich selbst viele Jahre wettkampfmäßig gerudert und auch eine U23-WM-Mannschaft trainiert. Zehn Jahre habe ich als Head of Delegation und Coach eine österreichische Universitäts-Mannschaft bei Universitäts-EMs und -WMs betreut. Da die Ruderwelt eine eingeschworene Familie ist, wurde ich von den Veranstaltern der European Championships 2022 gefragt, ob ich meine Expertise einbringen könnte. Das hat mich natürlich enorm gefreut! Und da die Kanu-Sprint-EM nur ein paar Tage dauert und auf derselben Strecke stattfindet, war die Entscheidung schnell gefallen, dabei auch auf dasselbe medizinische Team zu setzen – so kam der Kanu-Sport dazu.  
Dr. Müller: Auch bei mir gibt es einen persönlichen Bezug: Das Klettern war für mich viele Jahre ein Ausgleichssport neben Studium und Arbeit. Ein Sport, der in den vergangenen Jahren aber auch allgemein immer populärer geworden ist, seit vergangenem Jahr sogar olympisch. Es freut mich daher, bei dieser aufstrebenden Sportart als Medical Director mitwirken zu dürfen. Zumal wir mit der klinischen Versorgung im Universitätsklinikum rechts der Isar viel Erfahrung haben, da wir oft mit Unfällen durch Stürze beim Klettern und Bouldern konfrontiert sind. Diese Unfälle haben wir auch wissenschaftlich untersucht und vor Kurzem eine große Übersichtsstudie zu typischen Verletzungen im Bouldersport veröffentlicht. 
 
Auch bei den European Championships wird das Universitätsklinikum rechts der Isar an mehreren Studien beteiligt sein...
Dr. Zyskowski: Richtig! Wie so oft im Leben öffnen sich Türen weiter, wenn man mal den Fuß drin hat. So war es auch hier: Nachdem klar war, dass ich die Rolle des Medical Directors im Rudern und Kanu besetzen werde, habe ich bei den Verantwortlichen nachgefragt, ob eine wissenschaftliche Begleitung der European Championships möglich wäre – mit Erfolg. Im eigenen Haus haben mir Prof. Peter Biberthaler, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, und Prof. Chlodwig Kirchoff, leitender Oberarzt, von Anfang an ihre volle Unterstützung signalisiert. So ging die Arbeit schon vor mehr als einem Jahr los.
 
Was wollen Sie und Ihr Team konkret herausfinden?
Dr. Zyskowski: Unser Ziel ist es, alle Verletzungen und Erkrankungen der Sportler*innen in den Wettbewerben, aber auch im Training zu ermitteln, zu analysieren und damit eine wichtige Datengrundlage zu schaffen – um die medizinische Versorgung bei solchen Sportereignissen zu verbessern: Der Veranstalter erhält eine valide Einschätzung der nötigen medizinischen Maßnahmen. Wir erhoffen uns zudem, Maßnahmen aus den Daten ableiten zu können, die helfen, Sportverletzungen vorzubeugen. Natürlich wollen wir unsere Ergebnisse auch in einem Fachmagazin publizieren.
 
Bei einer einzigen Studie ist es nicht geblieben…
Dr. Zyskowski: Nachdem die Veranstalter der European Championships unsere Projektidee an die internationalen Sportverbände kommuniziert hatten, sind die Sportmediziner Prof. Pascal Edouard von der Universität Saint-Etienne in Frankreich und Prof. Karsten Hollander von der Medical School Hamburg (MSH) auf mich zugekommen. Gemeinsam haben wir begonnen, weitere Forschungsideen zu entwickeln. 
 
Mit welchem Ergebnis?
Dr. Zyskowski: Wir werden alle Athlet*innen bitten, einen Online-Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand in den vier Wochen vor Wettkampfbeginn zu beantworten – um dessen Einfluss auf die unmittelbare Vorbereitung und die Verletzungswahrscheinlichkeit herauszufinden. Dies kann ein wichtiger Beitrag zur Prävention sein. Wir werden zudem der Frage nachgehen, welchen Einfluss die Menstruation auf Athletinnen hat – bislang die wahrscheinlich größte Studie zu diesem Thema. Zwei weitere Untersuchungen befassen sich mit dem Stellenwert der Prävention und der Vorhersage von Verletzungen. Insgesamt werden wir sechs Studien während der European Championships in München durchführen.
 
Klingt sportlich! Bekommen Sie dabei Unterstützung?
Dr. Zyskowski: Zum Glück konnten wir Medizin-Studierende unserer Technischen Universität München (TUM), aber auch der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und von unseren Projektpartnern in Hamburg und Saint-Etienne gewinnen. Ihre Begeisterung für das Projekt war von Anfang an spürbar. Eine echte Hilfe ist auch das digitale Erfassungstool, das unsere Kolleg*innen aus Saint-Etienne entwickelt haben. Jetzt brennt unser Team nur noch darauf, dass es endlich losgeht!